Der lange gelbe Bus mit Zieharmonika-Verbindung kurvt in Alt-Mariendorf
rasant um die Ecke. Mit gefühlten hundert Stundenkilometern. Wir müssten
eigentlich jeden Augenblick umkippen. Tun wir aber nicht. Der Fahrer hat
alles voll im Griff.
NOCH, denke ich. Mal sehen, wie lange das gut geht.
Wir sind auf dem Weg zur Schlossstraße. Ich brauche dringend eine neue
Jacke. Während sich in meinen Gedanken die Marschroute durch das
Einkaufsparadies entwickelt, die mich effizient zum Erfolg führen soll,
will der vor meinem Sitz eingeparkte Rollstuhlfahrer aussteigen. Er
scheint den für ihn erreichbaren Halteknopf nicht zu sehen und ruft
stattdessen laut in Richtung Fahrerkabine, während wir schon fast in
Höhe der nächsten Haltestelle sind.
Vollbremsung.
Zwei Frauen kreischen hysterisch.
„Ich habe ihr 'Hallo' eben erst gehört“, entschuldigt sich der Busfahrer
beim Rollstuhlfahrer, springt behände auf, sprintet zur ersten
Ausgangstür und klappt flugs die Rampe aus, um den Mann aussteigen zu
lassen. „Auf Wiedersehen“, ruft er freundlich, klappt die Rampe wieder
ein und flitzt zu seinem Fahrersitz zurück. Wir fahren nun noch
schneller. Klar. Der Zwischenstopp muss natürlich zeitlich aufgeholt
werden. Zwanzig Sekunden werfen zurück. Vielleicht findet auch gerade
die Rallye de Steglitz statt und mein Fahrzeugführer strebt den ersten
Platz an. Er hat aus meiner Sicht die allerbesten Chancen.
Ich warte auf die erste Außenspiegelkollision mit links vorbeifahrenden
oder rechts parkenden Autos. Die Gersdorfstraße ist extrem eng. Aber es
passiert nichts.
‚Der kann das, der kann das, der kann das’, suggeriere ich mir
optimistisch, meine innere Anspannung leicht lockernd und den rechten
Zeigefinger knetend das soll angstbefreiend wirken. ‚Außerdem hat er
rechts und links seines attraktiv gebräunten Gesichts schon leicht
ergraute Schläfen das spricht für ERFAHRUNG’.
Wir rasen weiter und erreichen in Windeseile die Feuerbachstraße, wo
zwei Rentner am Zebrastreifen warten.
Kein Problem für meinen Rennfahrer.
Erneute Vollbremsung.
Diesmal kreischen drei Frauen hysterisch. Ich bin dabei.
Auch wenn die Fahrgäste von seinen unvorhergesehenen Bremsaktionen ganz
und gar nicht begeistert sind: es macht Schumi sympathisch, dass er
Rücksicht auf Senioren nimmt, die dann im Schneckentempo die Straße
überqueren.
Nach Weiterfahrt mit erneuter Geschwindigkeitsüberschreitung (diesmal
müssen mindestens vierzig Sekunden aufgeholt werden), kommen wir
raketenschnell am Walter-Schreiber-Platz an.
Ich löse die Umklammerung meines gut durchgekneteten Zeigefingers
(inzwischen dem linken) und steige aus.
Mein Angstschweiß trocknet nur langsam.
Gleichzeitig ist meine Morgenmüdigkeit wie weggeblasen. Ich fühle mich
hellwach. Und freue mich über meine BVG-Umweltkarte. Sie ermöglicht mir
nicht nur ein Benzingeld und Parkgebühren-freies Steglitz-Shopping. Wenn
die Anfahrt so schnell ist wie heute, wirkt sie sogar gesundheitsfördernd.
Jedenfalls wenn man zu niedrigen Blutdruck hat 
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